Forschung

“Der Autismus an sich ist keine Hölle. Die Hölle entsteht erst durch eine Gesellschaft, die sich weigert, Menschen zu akzeptieren, die anders sind als die Norm oder diese Menschen zur Anpassung zwingen will."

(O'Neill 2001, S. 71)

Der Forschungsverbund zwischen dem White Unicorn e.V., Dr. Mark Benecke International Forensic Research & Consulting sowie der Humboldt Universität zu Berlin, vertreten von Frau Prof. Dr. Vera Moser, Herr Lukas Gerhards, Institut für Rehabilitationswissenschaften und Frau Dr. Schwager Institut für Rehabilitationspsychologie, dient durch die Generierung von Wissen der Entwicklung eines autistenfreundlichen Umfeldes. 


Es geht in dieser sozialraumorientierten (Fürst, Hinte 2017 S. 42), partizipativen Forschung (Unger 2014) somit auch um die Frage, welche Formen, Kompetenzen und Rahmenbedingungen notwendig sind, um den Autisten eine Verbesserung der Lebensbedingungen (Theunissen 2012) im Sinne eines Universellen Designs (UN-BRK) zu ermöglichen. Es werden Fragestellungen der Praxis aufgegriffen, auf der Suche nach Antworten. Das Ergebnis und deren Darstellung sind als formuliertes Erkenntnisinteresse der Praxis (Fürst, Hinte 2017 S. 42) und Lebenswirklichkeit der durch Barrieren Behinderten zu begreifen. (UN-BRK)

Kontakt bitte unter folgender Adresse/E-Mail:

 

White Unicorn e.V.

Hultschiner Damm 148

12623 Berlin

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Grundsätzliches zur Generierung von Wissen

 

Waldenfels meint, dass das vermeintliche “Verstehen” eines anderen Menschen erstens eine Illusion, zweitens eine Bemächtigung und drittens eine Selbstberaubung ist (vgl. Waldenfels 1990, S. 33). “(Eine Illusion), weil es die letzte undurchdringliche Fremdheit und Einsamkeit noch im vertrautesten Umgang leugnet: Was ich vom anderen erfahren kann, ist nie dessen Erfahrung oder Befindlichkeit, sondern immer nur meine Erfahrung dessen, was er oder es von seiner Erfahrung oder Befindlichkeit kundtut oder preisgibt. ... (Eine Bemächtigung weil), es unterwirft den oder das andere unter mein Weltverständnis. ... (Eine Selbstberaubung), denn es bringt mich um die Begegnung mit Fremdem und friert meine Erfahrung auf dem Stand des Bekannten ein” (Waldenfels zitiert nach Gronemeyer 2014, S. 154).

 

Dem White Unicorn e.V. ist dieser Gedankengang sehr wichtig und versucht dementsprechend die Generierung von Wissen dahingehend zu prüfen, damit keine Übergriffe passieren und somit Leid bei den Umfragen vermieden wird. Es geht darum Wissen zu erfassen, zu dokumentieren, zu generieren, ohne vermeintliches Verstehen den Probanden zuzumuten, was auch in unserer Ethischen Positionierung festgehalten wurde.

Autismus und Barrieren

Autismus ist eine genetisch bedingte menschliche neurologische Variante. Autismus ist ein Entwicklungsphänomen, was bedeutet dass es im Mutterleib beginnt, es angeboren ist und während der gesamten Lebensdauer einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung auf verschiedenen Ebenen hat. Autismus verursacht charakteristische, untypische Arten des Denkens, der Bewegung, der Interaktion, sowie der sensorischen und kognitiven Verarbeitung. (Walker 2015) 

 

Autismus ist als Begriff für eine neurologische Veränderung in Form eines menschlichen Seins, im Rahmen menschlicher Diversität zu verstehen. (Theunissen 2014, S.16)  Die „Intense-World-Theory“ der Markrams versucht aus der neurobiologischen Perspektive, viele der bisherigen Hypothesen und Erklärungen zum Autismus zusammenzufassen (Theunissen 2014, S. 65).

 

Durch frühes Zurückziehen aufgrund der Überlastung in einer Umgebung mit zu vielen Reizen verpassten Kinder die so genannte sensitive Phase. Dann hätten diese Kinder soziale und sprachliche Probleme nicht aufgrund neuronaler Schwächen, sondern weil in der für die Bildung dieser Fähigkeiten empfänglichen Phase wichtige Impulse im Chaos der Reize untergegangen waren. Somit würde frühes Gegensteuern – ein Reduzieren der intensiven Reize der Umwelt - ihre Talente bewahren und gleichzeitig Behinderungen mildern oder ganz vermeiden. (Szalawitz 2015, S. 6).

Das sensorische Erleben eines autistischen Kindes ist auf der Welt intensiver und chaotischer als das eines nicht-autistischen Kindes, und die beständige Aufgabe, diese Erfahrungen zu steuern und einzubeziehen, beansprucht somit mehr Aufmerksamkeit und Energie des autistischen Kindes. Dies bedeutet, dass das autistische Kind weniger Aufmerksamkeit und Energie zur Verfügung hat, um sich auf die Subtilität der sozialen Interaktion zu konzentrieren. Die Schwierigkeit den sozialen Erwartungen von Nicht-Autisten zu entsprechen, führt häufig zu gesellschaftlicher Ablehnung, die soziale Schwierigkeiten weiter verschärft und die gesellschaftliche Entwicklung behindert. Aus diesem Grund wurde Autismus häufig als eine Reihe von "sozialen und kommunikativen Defiziten" missverstanden, von denen, die sich nicht bewusst sind, dass die sozialen Herausforderungen mit denen sich autistische Menschen konfrontiert sehen nur Nebenprodukte der intensiven und chaotischen Natur der autistischen sensorischen Wahrnehmung und kognitiver Erfahrungen sind. (Walker 2015).


Barrierensensible Schulgestaltung

 

Der schulische Kontext muss so weit wie möglich passend sein, dies betrifft vor allem auch den Umgang mit (Theunissen 2014, S. 198ff.) und den Abbau von Barrieren zur schulischen Teilhabe von Autist*innen. (UN-BRK) Der Barriereabbau mit einer professionellen Projektplanung dient der Entwicklung einer guten gesunden Schule (Nieskens 2006). In der barrieresensiblen Schulgestaltung gehen wir davon aus, dass eine Normalitätsideologie kritisch zu betrachten ist. (Kastl 2010, S. 51-55 )

 

Ziel ist, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wo Barrieren vor Schüler*innen existieren, die einer Teilhabe am Unterricht im Wege stehen; diese wenn möglich abzubauen oder - da manche Barrieren sich diametral gegenüberstehen - zumindest regulierbar zu gestalten.(Hinz 2009, S. 179) Die Kinder sollen somit in einer weitgehend barrierefreien Umgebung in ihrem Selbstkonzept gestärkt werden, damit sie mit Erfolg an Schule teilhaben können, ohne durch Barrieren behindert zu werden, was durch eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung von Unterschiedlichkeit gelingen kann. Hierfür bedarf es eine klare Bekenntnis zu inklusiven Prinzipien, (Werning 2013, S. 51) die einer stärkeren Schulentwicklung bedürfen. 

 

Ein Abbau der sozialen neg. Reaktion (mit dem Konzept der Behinderung) muss zudem in gelebter Inklusion gleichzeitig weiter ausgebaut werden, so dass durch konsistentes Zusammentragen von Wissen der Kenntnisse aus der Forschung, eine Entwicklung inklusiver Schule möglich wird (Moser und Deppe-Wolfinger 2013, S.8). Barrierensensible Schulgestaltung wird auf diese Weise möglich, in der schon primäre Sozialisationsprozesse zur Herstellung von Selbstbestimmung im Sinne von Empowerment stattfinden.(Waldschmidt 2005, S. 13, Schirbort et al. 2011, 169 f.) 

 

 

Literaturverzeichnis


Fürst, Roland; Hinte, Wolfgang (2017): Sozialraumorientierung, Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten

Gronemeyer, Marianne (2014): Das Leben als letzte Gelegenheit

Hinz, Andreas (2009): Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 60 (5), S. 171–179.

Kastl, Jörg Michael (2010): Einführung in die Soziologie der Behinderung. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-92314-7.

Moser, Vera; Deppe-Wolfinger, Helga (Hg.) (2013): Die inklusive Schule. Standards für die Umsetzung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=1714390.

Nieskens, Birgit (2006): Entwicklung einer gesunden Schule durch Projektmanagement

Schirbort, Kerstin; Schubert, Michael; Kulig, Wolfram (Hg.) (2011): Empowerment behinderter Menschen. Theorien, Konzepte, Best-Practice. Stuttgart: Kohlhammer (Heil- und Sonderpädagogik)

Szalawitz, Maia (2015): Eine zu intensive Welt.

Theunissen, Georg (2012): Lebensweltbezogene Behindertenarbeit und Sozialraumorientierung: Eine Einführung in die Praxis ISBN 978-3784121185

Theunissen, Georg (2014): Menschen im Autismus-Spektrum. Verstehen - annehmen - unterstützen ; ein Lehrbuch für die Praxis. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer

UN-BRK, https://www.behindertenrechtskonvention.info/

Unger von, Helga, (2014): Partizipative Forschung ISBN 978-3-658-01289-2

O'Neill, Jasmine Lee (2001): Autismus von Innen. Nachrichten aus einer verborgenen Welt.

Waldenfels Bernhard (1990): Der Stachel des Fremden

Waldschmidt, Anne (2005 (1)): Disability Studies: Individuelles, soziales und/oder kulturelles Modell von Behinderung? In: Clemens Dannenbeck und Claudia Franziska Bruner (Hg.): Psychologie & Gesellschaftskritik. 29. Jahrgang, 29. Jahrgang, Nr 113, 2005, Heft 1. 29. Jahrgang. Gießen: Psychosozial-Verlag (113), S. 9–31.

Walker, Nick (2015): Die wirklichen Experten: Lektüren für Eltern autistischer Kinder

Werning, Rolf (2013): Inklusive Schulentwicklung. In: Vera Moser und Helga Deppe-Wolfinger (Hg.): Die inklusive Schule. Standards für die Umsetzung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, S. 49–61.