Im Rahmen des BMBF-Projektes "schAUT" entstand ein Forschungs-Statut in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin und der Goethe Universität Frankfurt. Dieses Statut bildet die Arbeitsgrundlage des White Unicorn e.V. zur Realisierung des Satzungsziels:
Wissenschaft und Forschung
Hintergrund
Im Projekt schAUT untersucht in Kooperation mit dem Verein White Unicorn – Verein zur Entwicklung eines autistenfreundlichen Umfeldes e.V., der Humboldt Universität zu Berlin und der Goethe Universität Frankfurt Barrieren, die autistische Schüler:innen am und im Lernen beeinträchtigen oder behindern und entwickelt hierzu ein für alle Schulen nutzbares Erhebungsinstrument. Dieses Barrieretool, mit dem das Maß an Behinderungen im Sinne von Teilhabebarrieren gemessen wird, ist unabhängig von einer definnierten Behinderungsursache. Dennoch werden interessehalber Informationen über die Zugehörigkeit zur Neurominderheit der Autist:innen über Selbstauskünftee mit erhoben. Das Barrieretool von schAUT versteht sich als ein Schulentwicklungstool, denn Inklusion bedeutet vor allem auch eine Systemveränderung in der Herstellung von Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Akzeptanz der einzelnen Schule (4-A-Scheme Right To Education Primers, Tomaševski 2001). Arbeitsgrundlage des Projekts ist ein neurodiverses Verständnis von Autismus.
Das bedeutet:
Wir verzichten aus diesem Grund auf die Erhebung klassischer, pathologisierender Autismus-Diagnosen nach ICD bzw. DSM und lehnen positive Referenzen auf diese Konzepte ab. Wir verstehen unseren Forschungszugang demgegenüber in Anbindung an die UN-Behindertenrechtskonvention. Die Forschungsgruppe orientiert sich im Forschungsprozess inhaltlich an der Ausrichtung des White Unicorn – Verein zur Entwicklung eines autistenfreundlichen Umfeldes e.V. und an den Bedarfen der autistischen Community. Wir verstehen daher unseren Forschungszugang in Anbindung an die UN-Behindertenrechtskonvention: 2 • als ein partizipatives Forschungsprojekt, im Sinne des Geistes der UN-Behindertenrechtskonvention „Nothing about us, without us“ und betrachten autistische Menschen als Expert:innen in eigener Sache, • basierend auf einem an Barrieren orientierten Verständnis von Behinderung. Hiervon ausgehend verstehen wir Neurodiversität im Sinne Walkers (2014), als: the diversity of human minds, the infinnite variation in neurocognitive functioning within our species. Ausführlicher begreifen wird daher ebenfalls mit Walker Autismus als: […] eine genetisch bedingte menschliche neurologische Variante. Die komplexen und miteinander zusammenhängenden Charakteristika, welche die autistische Neurologie von der nicht-autistischen Neurologie unterscheiden, werden noch nicht vollständig verstanden, aber aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der wesentliche Unterschied ist, dass autistische Gehirne durch einen besonders hohen Grad an synaptischer Konnektivität und Reaktionsvermögen gekennzeichnet sind. Das führt dazu, dass die subjektive Erfahrung der autistischen Personen intensiver und chaotischer ist als die nicht-autistischer Personen: Sowohl auf sensorisch-motorischer als auch auf kognitiver Ebene neigt der autistische Verstand dazu, mehr Informationen aufzunehmen, und die Auswirkungen von jedem bisschen Information tendieren dazu sowohl stärker als auch weniger vorhersehbar zu sein. Autismus ist ein Entwicklungsphänomen, was bedeutet dass es im Mutterleib beginnt, es angeboren ist und während der gesamten Lebensdauer einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung auf verschiedenen Ebenen hat. Autismus verursacht charakteristische, untypische Arten des Denkens, der Bewegung, der Interaktion, sowie der sensorischen und kognitiven Verarbeitung. (Walker 2014) Damit lässt sich eine Stärken-Perspektive (Empowerment) begründen, „die der Gepflogenheit, behinderte Menschen im Lichte von Defiziten, Schwächen oder eines Nicht-Könnens zu betrachten und zu behandeln, kontrapunktisch gegenübersteht“ (Theeunissen 2012, S. 74).
Sozialräumlicher Ansatz
Der White Unicorn e.V. sowie das Projekt schAUT folgt dabei auch einem sozialräumlichen Ansatz, den Hinte & Treeß (2011) und Fürster & Hinte (2017) wie folgt formuliert haben:
Ausgangspunkt der Forschung sind der Wille und die Interessen autistischer Menschen.
Die Forschung dient der Aktivierung autistischer Schüler:innen zum Erkennen und Benennen von Barrieren, für deren Abbau die Schulen verantwortlich sind. Dies bedeutet eine Abkehr von betreuenden und paternalistischen Haltungen in der Pädagogik hin zu einem empowernden Ansatz unter Einbeziehung akademischer, wie auch berufsfeldbezogener und lokaler institutioneller Expertise und Ressourcen.
Bei der Gestaltung des Barriereabbaus spielen praktikable personale (im Sinne der Bereitstellung „angemessener Vorkehrungen“, UN- BRK und sozialräumliche Ressourcen eine wesentliche Rolle in der konsequenten Orientierung an den Bedarfen autistischer Schüler:innen, unter möglichst weitgehendem Verzicht auf eine expertokratische Diagnostik.
Partizipative Forschung
Auf Basis dieser Überlegungen und Grundsätze verstehen wir unser Projekt als partizipative Forschung (Farin Glatteacker, et al. 2014; nach Keeley, et al. 2019) und ordnen es entsprechend wie folgt ein: Nach: Matrix zur Beteiligung „Betroffener“ an Forschung in Farin-Glatteacker et al. (2014, 6).
Quellen
Farin-Glatteacker, E., Kirsching, S., Meyer, T. & Buschmann-Steinhage, R. (2014). Partizipation an der Forschung – eine Matrix zur Orientierung. httep://dgrwonline.de/finles/matrix_ef_1.pdf
Hinte, W. & Treeß, H. (2014). Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe: Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik (3. Auflage). Basistexte Erziehungshilfen. Beltz Juventa.
Keeley, C., Munde, V., Schowalter, R., Seifert, M. & Tillmann, V. & Wiegering, R. (2019). Partizipativ forschen mit Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf. Teilhabe(4), 96–102. htteps://www.lebenshilfe.de/finleadmin/Redaktion/PDF/Wissen/public/Zeitschrifte_Teilhabe/KEELEY-et-al_Partizipativ-forschen_Seiten-96102__FZ_Teilhabe_3_2019.pdf
Theunissen, G. (2012). Lebensweltbezogene Behindertenarbeit und Sozialraumorientierung: Eine Einführung in die Praxis. Lambertus-Verlag. htteps://ebookcentral.proquest.com/lib/gbv/detail.action?docID=544764294
Tomasevski, K. (2001). RIGHT TO EDUCATION PRIMERS: Human rights obligations:making education available, accessible,acceptable and adaptable. htteps://www.right-to-education.org/sites/right-to-education.org/finles/resourceatteachments/Tomasevski_Primer%203.pdf
Walker, N. (2014a). Neurodiversity: Some Basic Terms & Definnitions. htteps://neurocosmopolitanism.com/neurodiversity-some-basic-terms-definnitions/ Walker, N. (2014b). Was ist Autismus? htteps://www.white-unicorn.org/?mod=neurodiversitaet