Ohne diese Distanz verwechseln Menschen Eigenes mit Fremden, lassen sich von anderen beeinflussen, verlieren die Verbindung zu sich selbst, zu ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen, werden abhängig. Die autistischen Kinder haben dadurch nicht die Möglichkeit IHRE Art zu sein kennen zu lernen und zu lernen, wie sie diese Art zu sein in ein selbstbestimmtes Leben integrieren.
Wenn autistische Kinder und Jugendliche lernen, sich besser abzugrenzen, dann entwickeln sie Resilienz: (in der Kommunikation, des Lernens sowie seelischen und körperlichen Gesundheit bedarf aber genau dies.) Die Achtsamkeit auf sich selbst, die Fähigkeit, sich der Zusammenhänge bewusst zu werden, Barrieren zu erkennen und Lösungen für Probleme zu finden, mit ihnen zu leben – ohne an ihnen zu zerbrechen mit schweren Folgen wie kognitiven Beeinträchtigungen, Schäden am vegetativen Nervensystem, uvm.
Ohne gesunde Distanz, die sie selbst nie erfahren konnten und durften, können sie sich nicht gegen fremde Einmischungen wehren. Und sie mischen sie sich in das Leben anderer Menschen ein – natürlich nur „in bester Absicht“, neigen zu Manipulation und Kontrolle. Dies ist sehr oft im Spiel zu beobachten, ein in Gemeinschaft sein, in Ruhe zu Zufriedenheit scheint fern, Konflikte und Gewalt beherrschen das tägliche Bild dieser Kinder, auch in Schulen.
Das hindert sie daran, ihr eigenes Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen und Einsichten zu gestalten. Sie leben nicht selbst-bestimmt – autonom - sondern fremdbestimmt. Das macht Stress, führt in Beziehungen zu Konflikten, die unterdrückte Wut richtet sich gegen sich selbst oder destruktiv gegen andere. Oft ist bereits hier eine tiefe Traurigkeit, Sinnlosigkeit des Lebens gegenüber und auch Selbstverletzungen zu beobachten, denn diese Kinder und Jugendlichen wissen nicht, warum das so ist. Sie sind zu klein, sie bedürfen eines verantwortungsbewussten Umgangs mit ihnen, um zu lernen wie sie diesen mit sich selbst hegen können.
Wir möchten die tieferen Zusammenhänge erklären und weshalb das für „Autisten“ besonders wichtig ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Konfliktfelder
Gesunde Distanz beinhaltet gegenseitigen Respekt und die Fähigkeit, sich mit dem anderen über unterschiedliche Bedürfnisse auseinandersetzen zu können. Beziehungskonflikte in der Schule werden häufig durch eine fehlende Wahrnehmung für die Bedürfnisse und der Inidividualität des Schülers verursacht. Das betrifft im verstärkten Maße Autisten.
Sie reagieren – mehr als andere Schüler negativ auf einen Unterricht, der im Räumlichen und wie Pädagogisch/Didaktischen übersieht auf die (Grund-)Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Diese zwangsweise vorgegebenen Strukturen behindern Autisten, weshalb sie „Barrieren“ genannt werden. Aber auch Autisten haben ein Recht auf Bildung, ein Recht darauf, in ihrem Potential gefördert zu werden.
Das ist besonder deshalb wichtig, weil es in unserer Zeit eine sehr destruktive Tendenz gibt, Menschen auf Leistung zu reduzieren - die aber unter diesen ungünstigen Rahmenbedingungen gar nicht erfüllt werden kann. Dadurch wird allen Beteiligten, besonders aber den autistischen Kindern und Jugendlichen ihre Würde genommen. Eltern und Lehrer geben den eigenen Druck an die Kinder weiter, ihre Bedürfnisse werden überhört. Ohne eine gesunde Distanz können sich alle Beteiligten dem enormen Erwartungs- und Leistungsdruck nicht entziehen. Alle fühlen sich überfordert, geraten in Stress, vielleicht in ein Burnout. Sie reagieren mehr und mehr gereizt, Konflikte eskalieren, die Achtung für sich selbst und für das Gegenüber geht verloren. Resignation, Depression, Krankheit oder Verweigerung, Sucht, Gewalt sind die Folgen.
Die gesunde Distanz ermöglicht einen inneren Raum, der nicht von Leistung bestimmt wird, sondern frei ist für Freude, Fantasie, Neugier, für das Glück der Begegnung mit Menschen. Man kann sein Gegenüber so lassen, wie es ist und Konflikte gelassener austragen, ohne die Achtung für sich selber – und für sein Gegenüber – zu verlieren. Nur wenn die Heranwachsenden selbst ihnen gegenüber Achtung erfahren, können sie diese ihrem Gegenüber auch zurück geben, weil sie diese als Geschenk erfahren haben.
Wie können diese Einsichten in den Konfliktfeldern Schule und Familie für Lösungsstrategien eingesetzt werden?
Mit einem Resilienz-Training: In einem ritualisierten Rollenspiel ist es möglich, den Zusammenhang zwischen fehlender Distanz und Verlust des inneren Raumes aufzuzeigen und die tiefere Ursache bewusst zu machen: ein früh erworbenes unbewusstes inneres Distanz- (Abgrenzungs-)Verbot in Form von irrealen Ängsten und Schuldgefühlen. Durch eine bewusste Entscheidung ist es möglich, dies Verbot nachhaltig zu lösen.
Selbstbestimmtheit und gesunde Distanz
Autonomie (Selbst-Bestimmung) ist ein angeborenes Grundbedürfnis jedes Menschen.
Autonomie (Selbst-Bestimmung) erfordert
gesunde Distanz (Abgrenzung) gegenüber Anderem,
einen eigenen inneren Raum, um eine
Verbindung mit dem Eigenen (Wahrnehmung, Gefühle, Bedürfnisse) zu haben.
Dann wird es möglich, sein Leben mehr nach eigenen Überzeugungen und Bedürfnissen zu gestalten. Das führt zu mehr
Gelassenheit, Zufriedenheit,
Achtung für sich selbst - und Andere!
Konfliktfähigkeit. Und es stärkt die
Resilienz, es
schützt vor Mobbing.
Bekannte Konzepte
Angst vor Autonomie [1]
Der Psychoanalytiker Arno Gruen hat seit 1986 in vielen Veröffentlichungen, zum Beispiel in seinem Buch „Der Verrat am Selbst, Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau“ (dtv 15016) (2), diese Zusammenhänge in seinen vielen Facetten beschrieben. Es ist sehr umfassend, informativ, kritisch auch gegenüber der eigenen „Zunft“, etwas spröde zu lesen. Die Rolle des „Unbewussten Abgrenzungsverbotes“ erwähnt er nicht.
Autonomie-Training [2]
Der Medizinsoziologe Ronald Grossarth-Maticek hat die Bedeutung von Autonomie für die Selbst-Regulation, für Gesundheit und Problemlösung erkannt und ein eigenes Autonomietraining entwickelt, indem er seine Klienten ermutigt, mehr an sich selber, ihre eigenen Bedürfnisse zu denken, sich nicht von anderen abhängig zu machen. Seine Überlegungen haben nicht die Verbreitung gefunden, die das Thema verdient, vielleicht weil er sich mehr auf die bewußte Ebene beschränkt, weil er die unbewußte Blockade des „Autonomieprogramms“ zuwenig berücksichtigt?
Das ist der Grund, warum hier ein neues Projekt vorgestellt wird.
Resilienz-Training nach Dr. Langlotz [3]
Das hier vorgestellte Resilienz-Training berücksichtigt das früh erworbene „unbewusste Abgrenzungsverbot“. Dies hindert in besonderem Maße die von Barrieren Betroffenen Autisten daran, eine „gesunde Distanz“ aufzubauen. Das Resilienz-Training hilft den „eigenen Raum“ wieder zu entdecken. Dieser wird gebraucht, um mit den Bedürfnissen und Fantasien, mit dem Eigensten: dem Selbst in Verbindung zu kommen. Das ist die Voraussetzung, um selbstbestimmt, autonom leben zu können. Dadurch wird es möglich die eigene Lernweise zu entwickeln, eine eigene Kommunikationsweise zu entfalten sowie auf das seelische Gleichgewicht zu achten. Wenn „Barrieren“ erkannt und benannt werden, dann müssen sie nicht mehr bis zum völligen körperlichen Zusammenbruch führen, denn sie können (erkannt werden) umgangen und konstruktive Lösungen gefunden werden, sie regulierbar werden zu lassen.
Das Training beschränkt sich auf die aktuelle Problematik der Kinder, Jugendlichen sowie deren begleitenden Erwachsenen!
1. Das Training fokussiert auf das unbewusste Abgrenzungsverbot. In einem Rollenspiel wird zu dem Punkt geführt, wo dies bisher unbewusste Verbot gespürt werden kann. Auf diese Weise wird die Entscheidung erneut möglich, diesmal dem Verbot nicht zu folgen und diese unbewusste Grenze zu überschreiten.
2. Wenn das gewagt wird, dann kann die Erfahrung gemacht werden, dass statt der befürchteten Katastrophe des Verlassenwerdens, Missachtung der Bedürfnisse und schwere Folgen durch Barrierelast ein bisher unbekanntes Gefühl von Befreiung eintritt.
3. Dadurch wird in den meisten Fällen das Muster nachhaltig gelöst. Es kann eine individuelle Entwicklung in der Kommunikation, dem Lernen sowie seelisch und körperlich gesundes Aufwachsen ermöglicht werden.
Das Resilienz-Training hat die Form eines verdichteten, ritualisierten Prozesses. Die meisten autistischen Kinder und Jugendlichen lassen tiefe Ängste und Traumatisierungen erwarten. Wenn das der Fall ist, ist anzuraten, dass dieser Prozess durch eine*n Psycholog*en und/oder Psychiater*in begleitet wird, da hier unbewusste Prozesse angesprochen werden.
Einzelnachweise
1. Arno Gruen Verrat am Selbst, die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau, dtv 15016
2. Ronald Grossarth-Maticek Autonomietraining: Gesundheit und Problemlösung durch Anregung der Selbstregulation; Berlin 2000
3. Dr. Ernst R. Langlotz "Maligne Symbiose und Autonomiestörung als entscheidende Ursache von Stress, Krankheit und destruktivem Verhalten (Teil 1 und 2)" in Systemische Aufstellungspraxis, 2006 Heft 2 und 3 / Ders. "Destruktion und Autonomieentwicklung - Ein Beitrag zum Verständnis und zur Behandlung destruktiven Verhaltens" (S. 46) in Praxis der Systemaufstellung, 2006 Heft 2