Persönliche Daten (Autist 5)

Diagnose: A-typischer Autismus

Barrieren

Die größte Barriere ist seine Schwierigkeit mit dem Sprechen, er versucht es und gibt sich auch viel Mühe beim Aussprechen, bekommt aber bei fremden Menschen kein Wort heraus und schaut weg, wenn sie ihn ansprechen. Auch aufgezwungene Regeln und die eingeschränkte intuitive Sozialkompetenz ( als ein Kind der neulich von der Rutsche fiel, hat er laut gelacht, das kam gar nicht gut an ) bereiten ihm Probleme.

Da er ein neugieriges und verkuscheltes Kind ist, das sich körperlich sehr gut entwickelt, war es einfach, ihn ganz normal in ein für uns stimmiges Familienleben zu integrieren. Er kann sich manchmal über echt kleine Dinge aufregen, aber meiner Meinung nach noch ganz im Rahmen, wie auch ein anderer durchsetzungswilliger Junge in seinem Alter damit umgehen würde, wenn es nicht nach seiner Vorstellung läuft. Da braucht man halt ein wenig Fingerspitzengefühl, um es nicht zu verderben.

Situation

Unser Sohn wird mit seinem kleinen Bruder ( 2Jahre, NAy ) von mir zuhause betreut. Mehrere Versuche, ihn auf Empfehlung der Fachwelt dringend in einen Kindergarten einzugliedern, schlugen fehl, da er dort auf keinen Fall alleine zurückbleiben wollte. Eine Diagnose hatten wir erst mit 3,5 Jahren, als uns einer dieser Kindergärten beim Jugendamt wegen Kindeswohlgefährdung anzeigte, da wir nicht zu einer sogenannten Kooperation bereit waren. Wir werden dieses Jahr ( 2017 ) Deutschland verlassen, da ich meinen Sohn auf keinen Fall auf eine deutsche Schule schicken werde, die ihn weder vor Mobbing beschützen, noch ein Lernen, in seinem Tempo und an seinen persönlichen Stärken gemessen, bieten kann. Auf dem Spielplatz sehe ich oft, wie er versucht bei anderen Kindern mitzumachen und besonders bei Gruppen massiv ausgegrenzt wird und die Kinder dann vor ihm weglaufen. Die Segregation der Kinder, wo immer sie auch her kommt, halte ich für äußerst bedenklich und sehe da für die deutsche Gesellschaft keinen Weg in die Inklusion. Natürlich gibt es auch nette Kinder, die findet er aber leider nicht so „spannend“.

Durch seinen kleinen Bruder hat er viele Möglichkeiten Sprache und soziale Verantwortung zu erfahren, ohne dabei zu „dem bösen Jungen“ zu werden. Ich achte sehr auf eine gute Entwicklung der Geschwisterbeziehung, da sich beide in ihrer Wesenheit sehr gut ergänzen können.

Wahrscheinlich liegen seine Fähigkeiten im Bereich Physik, Mathematik. Er baut sehr gerne Landmaschinen aus Lego und hat das Spiel „Birds“ beherrscht, da war er noch keine 2 Jahre alt.

Ruhezustandsförderung

Als er zum ersten Mal mit 3 Jahren in den Kindergarten gehen sollte, fing alles an überzuschwappen, man empfahl eine regelrechte Herauslösung des Kindes aus der Eltern-Kind-Beziehung durch Kindergarten, Heilpädagogen und haufenweise Therapien. Für Ärzte sollte ich ihn regelmäßig festhalten, damit sie unter Tränen wieder irgendeine Untersuchung durchführen konnten. Unser ganzes Familienleben litt darunter, wie unser Sohn als nicht normal und defizitär dargestellt wurde. Keiner hatte auch nur ansatzweise Interesse an seinen Fähigkeiten oder an ihm selbst als Mensch. Mir als Mutter wurde öfters unterstellt ihn vernachlässigt zu haben, es war unglaublich aufdringlich, wie manche Leute mit ihren Fragebögen in unserem Privatleben herumschnüffelten, auf der Suche nach schlechten Eltern und kranken Kindern.

Mit der Diagnose und dem Besuch vom Jugendamt Ende 2015 hatten wir die ersten beiden Personen, die uns bestärkten, unseren Weg zu gehen. Das haben wir getan. Ab Oktober werden wir mit den Jungs Deutschland verlassen, neue Freunde finden, Sprachen lernen und dort bleiben, wo wir uns wohl und angenommen fühlen.

Regulierbare Barrieren

Ich lege viel Wert darauf, dass beide Kinder „frei laufen“ dürfen. Sie wissen selbst am besten, was sie gerade lernen wollen und was sie brauchen. Wir haben den Freiraum, das Angebot und die Zeit. Das funktioniert sehr gut. Ich wüsste nicht, was ich noch weiter regulieren könnte. Der Große darf seine eigenen Erfahrungen machen, mir fehlt aber manchmal die Möglichkeit mit ihm die eine oder andere Situation zu reflektieren. Ich wünschte mir, dass ich ihm dabei mehr helfen könnte. Die größte Schwierigkeit besteht für mich eigentlich darin, dass wir draußen immer wieder in Situationen geraten, in denen ich noch nie war und die ich erstmal einordnen muss, um adäquat zu reagieren. Ich habe schon gesehen, wie Kinder ihn hinter seinem Rücken nachgeäfft haben und es fällt mir schwer einzuschätzen, wieweit das ihn verletzt. Eine Zeit lang bin ich auf dem Spielplatz zu anderen hin und habe sie über den Autismus aufgeklärt, das ist mir aber ehrlich gesagt echt zu blöde geworden, da mein Sohn in erster Linie ein kleiner Junge ist und nicht Autist. Die Intoleranz in unserer Gesellschaft ist mir mit meinen beiden Kindern ( allgemein ) erst so richtig bewusst geworden und genau genommen hab ich davon auch genug.

Resilienz durch Ruhezustand

Da ich schon einiges über Autismus gelesen hatte, war mir schnell klar, dass es nie so weit kommen darf, dass mein Kind erst krank oder aggressiv werden muss, damit überhaupt erst jemand merkt, dass es ihm schlecht geht. Mein großer Sohn ist durchaus in der Lage wegen seines kleinen Bruders zurückzustehen oder sich auf Kompromisse einzulassen. Er ist sehr geduldig und kann oft ewig warten, bis es dann mal weitergeht. Ich kann mich nahezu 100% auf ihn verlassen, dass er seine Kompetenzen richtig einschätzt. Mit der Entwicklung bin ich rundum zufrieden und stehe voll dahinter. Es beansprucht viel Zeit und Feingefühl beiden Kindern viel Freizeit in der Natur und ein ausgiebiges Angebot für Interessen zu bieten, aber es ist es auf jeden Fall wert, denn ich kann miterleben, wie sie wachsen und lernen und besonders Freude am Leben und an ihrer Kindheit haben.

Deutschland 2017