Persönliche Daten (Autistin 33)

Ich bin jetzt 33 Jahre alt, diagnostizierte Autistin mit Inselbegabung im visuellen Bereich sowie Dyspraxie.

- Welche Barrieren wurden erkannt und beseitigt?

In meinem Leben sind mir einige Barrieren aufgefallen. In der Kindheit habe ich am Gymnasium etwa die soziale Interaktion mit lauter fremden Kindern als unüberwindbare Barriere erlebt. Viele waren mir nicht wohl gesonnen und haben mich auch dafür diskriminiert. Die anderen Kinder merken schnell, dass man anders ist, was bei mir selbst zu großer Unbeliebtheit binnen kürzester Zeit führte. Es war für mich somit auch eine Barriere, dass nicht darauf geachtet wurde, dass wir Kinder untereinander freundlich miteinander umgehen. Diskriminierendes Verhalten wurde an dem städtischen Gymnasium toleriert, vermutlich aufgrund Personalmangels. Rückzugsräume gab es keine in diesem Gymnasium, der Pausenhof war ein schallender Lärminnenhof. Eine weitere Barriere war für mich die Architektur, es war viel zu laut dort. Die Bauweise war zudem sehr offen, alle Kinder waren in der riesigen Halle und die Bewegungen waren mir viel zu schnell. Die Symmetrie und vielen Treppen hatten bei mir immer wieder zur Folge, dass ich mich schwer orientieren konnte. Auch im späteren Leben beim Studieren war die größte Barriere für mich die Akustik durch die Architektur der neuen Gebäude und Säle. Durch den Wechsel auf eine inklusive Klosterrealschule wurden alle Barrieren schlagartig beseitigt.

- Welche Schwierigkeiten gab es?

Die Barrieren haben bei mir zu einem sehr hohen Stresslevel geführt. Ich hatte Kopfschmerzen, kognitiver Stillstand, Nasenbluten, Gehörsturz, Ohnmacht, Leistungsverweigerung, Übelkeit, Konzentrationsstörung, selektiven Mutismus, Koordinationsschwierigke iten des Körpers sowie Orientierungslosigkeit. Aufgrund dessen beschlossen die Lehrer und Eltern mich wieder aufs Land auf eine inklusive Schule zu schicken.

- wie wurde der Ruhezustand forciert, durch welche Maßnahmen?

Der Ruhezustand wurde durch völligen Wegfall des Drucks erreicht. Die Schule war damals noch an ein Kloster gebunden. Der Pfarrer, welcher auch Musiklehrer war zeigte mir einen Bereich des früheren Klostergartens, in dem ich mich aufhalten konnte. Auch waren manche Räume dort der Kirche gewidmet, wo ich meine Ruhe finden konnte. Rückzugsräume waren für mich wesentlich. Die meditative Stimmung dort lud mich ein in Ruhe und dem Staunen zu verweilen, denn es waren wunderschöne Klostergemälde und Klostergarten. Ich liebte es dort zu sein und meine Ruhe zu finden. Es gab einen zweiten Bau der Schule, welcher nach unten hin außerhalb vom Klostergelände einen Wasserlauf hatte. Auch diesen durfte ich aufsuchen. Die Lehrer und Klosterbewohner merkten wohl, dass ich anders war und ließen mich gewähren, was ich brauchte. Eine ständige Anwesenheitspflicht gab es somit nicht wirklich, es wurde erkannt wie wichtig es für mich ist, länger zu brauchen, meine Zeit zu haben und nutzen zu können. Zudem wurde in den Pausen auf mich sehr eingegangen. Ich konnte mich über Deutsch, Englisch und Chemie mit den Lehrern auch außerhalb der Stunden unterhalten und meine Interessensgebiete frei vertiefen. Durch die strengen christlichen Werte und war es völlig untersagt mich zu diskrimieren aufgrund meiner Andersartigkeit. Es wurde sehr stark auf Werteerhalt geschaut, was für mich die Barriere der sozialen Interaktion völlig auflöste. Auch die kleine Klasse von 20 Kindern kam mir sehr zu Gute. Die Gebäude waren so gebaut, dass der Schall sich gar nicht so stark aufbauen konnte. Ich fühlte mich rund um wohl und schrieb meinen Realschulabschluss mit 1,6.

- Welche Kompensationsmechanismen wurden eingesetzt?

Als Kind entdeckte ich bereits für mich die Meditation. Dies war für mich ein Kompensationsmechanismus, den ich unbewusst einsetzte. Ebenso wie das Reiten und Kajak fahren half es mir in der Freizeit zu kompensieren. Durch den Halbtagsunterricht und strikte Ferien, in denen nichts gelernt werden musste konnte ich das ausgiebig nutzen.

- welches Stimming wurde genutzt?

Ich kuschelte unheimlich gern, der enge Kontakt war mir immer wichtig. Mein wichtigster Bereich ist das taktile Stimming. Als Kind hatte ich weiche Bändchen, meine Schmusebändchen z.B. die ich als Stimming verwendete. Auch der direkte Kontakt zu meinem Pferd half mir sehr viel. Das Voltigieren war denke ich auch wesentlich für mich. Später entdeckte ich heiße Bäder, Sauna und Massagen für mich als äußerst brauchbar, um die Reize zu regulieren.

- welche Positiven Auswirkungen hatte es?

Die Inklusion nicht vor Ort sein zu müssen, keinen Druck zu erleben, mich immer wann ich wollte zurück ziehen zu dürfen, lernen ohne Barrieren durch Lärm, Bewegung und sozial schwierige Situation wie Diskriminierung machten es mir mögliche einen super Realschulabschluss zu schreiben. Hier durch wurde es mir möglich mein Abitur zu schreiben.

- Welche Hürden existieren, die es schwer machen dies umzusetzen und zu leben?

Schwierig war, dass die Orte die Inklusiv sind und diese Freiheiten bieten in der Kindheit nicht so häufig waren. Durch die inklusive Grund- und Realschule hatte ich hier einen guten Abschluss, doch war es mir aufgrund der starken Barrieren in der Stadt nur unter 49% Krankschreibung aufgrund pathologischen Aufflälligkeiten möglich das Fachabitur zu schreiben. In einem dadurch sehr schlechten körperlichen zustand war es mir auch nicht möglich ein Studium zu absolvieren. Ich kam hier an meine Grenzen der Kompensation. Zu viele Barrieren waren vorhanden. In der FOS war es wieder die Akustik, die Schüler waren sehr lieb, sonst hätte ich es auch nicht geschafft denke ich. Alle, die Lehrer und Schüler gaben sich sehr Mühe untereinander in der Interaktion, wovon ich sehr profitierte. Der Dauernde Lärm führte bei mir aber letztendlich zu einem Gehörsturz mit Ohnmacht dann im Hörsaal beim Studieren.

- Wie lebt es sich im Ruhezustand und wie kann er gehalten werden?

Nach dem Studieren machte ich mich unter Beachtung meiner Barrieren selbständig. Ich ging reiten, wandern, Kajak fahren, Rollenspiele am PC, suchte regelmäßig die Bäder und Sauna auf und meditierte. Ein großes soziales Netz war im Laufe meines Lebens um mich entstanden. Einige Freunde die wesentlich älter waren wie ich schon immer, stehen mir zur Seite. Mit Gleichaltrigen habe ich sehr wenig zu tun. Das war schon immer so. Somit sorgte ich dafür, dass ich immer wieder im Ruhezustand lebte. Durch die 40 Stunden Arbeit jede Woche hatte ich dies auch nötig, denn als Selbständige hatte ich sehr viele positive Sozialkontakte, doch war dies durchaus immer mal anstrengend, auch weil die Umgebung ja sehr Barrierelastig war in München. So tat es mir extrem gut zu kompensieren mit Reiten, Kajak fahren, meditieren, Sauna und wandern und ich genoss das in vollen Zügen. Für mich war es dann sehr entspannend z.B. mal Abends am Wochenende mit einem guten Freund in den Biergarten zu gehen. Ich ging wandern für mich allein, auch Tagelang. Ich bin sehr gern für mich allein. Diese freie Zeit für mich schaffe ich mir auch heute noch immer wieder, als Ehefrau und Mutter von zwei Kindern.

- Wäre eine inklusive Beschulung sinnvoll zu betrachten?

Aufgrund meiner Erfahrungen empfehle ich vollumfänglich eine Inklusive Beschulung durch Konferenzschaltung und Moodle. Durch die Inklusion, also mit der Konferenzschaltung in der Klasse anwesend sein können in einem Lernraum der ohne Barrieren ist, durch die völlig freie Zeiteinteilung auch einmal alles abzuschalten, sich zu erholen und im Moodle die Lerninhalte vor zu finden sehe ich nur Vorteile an einer inklusiven Beschulung wie sie im Modellversuch erforscht werden soll.

Deutschland 2015